Erfahrungsberichte
Stefan Hasler und Irene Peltzer
Zum dritten Male konnten wir in Dornach auf Initiative von Irene Peltzer und Stefan Hasler ein Leier-Eurythmie-Festival durchführen. Unser größtes Anliegen hierbei war die Möglichkeit des Austausches untereinander, angeregt durch die Aufführung desselben Werkes durch vier verschiedene Ensembles (Artemis Eurythmie Bühne Budapest, Eurythmie Bühne Berlin, Klanglicht Ensemble Witten und Eurythmeum Stuttgart). Wir hatten den Komponisten Torben Maiwald aus Hamburg gebeten, ein neues Stück für Leier und ein weiteres Instrument seiner Wahl zu schreiben. Torben wählte hierfür das Violoncello. Dieses eine Werk wurde also in vier unterschiedlichen Versionen interpretiert, im Konzert gespielt, in Workshops erarbeitet, es wurden Erfahrungen ausgetauscht und am Schluss nochmals aufgeführt. So konnten alle Kolleginnen und Kollegen in die zentrale Frage eintauchen, wie sich die Qualität des Leiertones in Eurythmie umsetzen lässt. Durch die hier eingefügten Erfahrungsberichte einiger Beteiligter können auch diejenigen, die nicht vor Ort waren, an diesem Ereignis partizipieren.
Torben Maiwald – Komponist
Die Gelegenheit, ein und dasselbe eigene Werk von vier verschiedenen Ensembles – und dann auch noch jeweils zweifach – innerhalb weniger Tage zu hören, hat wohl kaum je ein Komponist auf der Welt. Allein schon hierfür bin ich tief dankbar. Dann war eine wesentliche Erkenntnis: Eine einzige „richtige“ eurythmische Darstellung gibt es offenbar nicht. Alle vier erschienen mir stimmig und ernsthaft aus dem Geiste der erklingenden Musik umgesetzt. Die Unterschiedlichkeit erklärte ich mir daraus, dass die Ensembles aus verschiedenen Ebenen geschöpft haben: mal mehr aus dem Lebendig-Bewegten (oder auch Ruhenden), mal aus dem Seelisch-Bewegten, mal mehr ichhaft-kultisch-reduziert. Für mich als Komponist ein wertvoller Wink: noch genauer zu schauen, auf welcher Ebene dieses oder jenes jeweils wirkt, oder welche Ebene primär angesprochen ist. Interessanterweise lässt sich eine Antwort wenig an der äußeren Textur der Musik festmachen, sondern mehr an dem, worauf sie verweist. Und hier kann die Sichtbarmachung durch die Eurythmie eine unschätzbare Hilfe sein – auch in meinem „stillen Kämmerlein“, wenn ich mir als nicht ausgebildeter Eurythmist vorstelle, wie diese oder jene musikalische Geste konkret „aussieht“.
EURYTHMIE-BÜHNE BERLIN
Anne-Rose Kallinowsky-Pohlmann
• Oft eine ermüdende, schwierige und zähe Suche und Arbeit.
• Ohne Form von Außen sich im Bewegen zu finden, immer wieder scheinbar
Gefundenes zu verwerfen, weil es doch irgendwie nicht passte.
• Die Suche nach einem roten Faden in der Komposition zog sich fast bis zum Ende durch.
• Die Spannung und das Interesse daran, wie es die anderen Gruppen gestalten
würden;
• die verschiedenen Interpretationen der Komposition von den verschiedenen
Musikern – sehr interessant!
• zum Ende große Freude, diese künstlerische Gestaltung der Komposition mit
meinen Kollegen gewagt zu haben und sie aufführen zu können und die anderen
Kollegen mit ihren Versuchen zu erleben.
Alois Winter
Nur ausnahmsweise konnte in diesem zeitgenössischen Werk auf vertraute
eurythmische Elemente zurückgegriffen werden. Es galt immer wieder in das
Empfinden einzutauchen, welches durch das Klangerlebnis ausgelöst wird, und
sich dieses Empfindens möglichst exakt bewusst zu werden. In dem Sinne, wie
das Rudolf Steiner anregt: „So muss dasjenige, was sonst nur Erlebnis des Ohres
ist, Gesamterlebnis des Menschen werden. Dann wird es in ganz selbstverständlicher
Weise zur Gebärde. Man kann gar nicht anders, als wenn man das Erlebnis
beschreibt, schon die Gebärde zu beschreiben. Eurythmie ist nichts anderes als
die Offenbarung des Erlebnisses.“
Heide Pantzier
Mit Torben Maiwalds Werk „Der Blick zur Schwelle“ gelang es in diesem Jahr, dass vier Ensembles das gleiche Werk erarbeiteten. Es war sehr spannend, die unterschiedlichen Interpretationen wahrzunehmen, da sie sowohl sehr verschieden waren, als auch gewisse Gemeinsamkeiten aufwiesen. Bei den Demonstrationen und einem Teil der Workshops hatten sich alle Ensembles unabhängig voneinander die Takte 102 (und folgende) ausgewählt. Mir als Leierspielerin wurde währenddessen erneut bewusst, wie schwer es ist, so oft dieselbe Melodiefolge in gleicher Weise auf der Leier zu spielen. Wenn der Leier-Ton erklingt, habe ich als Spielerin keine Möglichkeit mehr, den Ton zu beeinflussen. Nur durch meine innere Vorbereitung – dem Voraushören und Vorausfühlen – kann ich die Erscheinungsform dieses Tones beeinflussen. Das wurde mir in diesen Momenten wieder sehr erlebbar.
Bei dem Workshop am Sonntagvormittag fragte mich eine betagte Eurythmistin: „Was bedeutet für Sie ganz persönlich der Leier-Ton?“ Etwas überrumpelt von dieser Frage antwortete ich spontan: „Er berührt mich direkt in meinem Herzen und hat zur gleichen Zeit eine sehr umhüllende Wirkung.“
Da lächelte sie und erwiderte: „Ja, da sind wir wieder bei Punkt und Kreis von Rudolf Steiner angekommen.“
Bei der Leier laufen die Spielbewegungen auf den Spieler zu und von dem Spieler weg und ergeben dadurch immer ein Gleichgewicht von Geben und Nehmen. Innen und außen sind in fortwährendem Austausch. Die Leier bildet das Herz eines neuen Instrumentariums.
In ihr können sich Polaritäten verbinden, ihre Wirkung gleicht Extreme aus, sie weiß zu beruhigen wie auch zu aktivieren, sie führt sowohl zum Melodischen wie auch zum Rhythmischen und auch die Harmonie findet in ihr eine Heimat. Ita Wegman hat diese Wirkung sofort erkannt und daher hat die Leier von Beginn an einen zentralen Platz in der Heilpädagogik gefunden. Sind wir inzwischen 110 Jahre später bereit, diesen zukunftsweisenden Hinweis von Rudolf Steiner auch unabhängig von diesem Festival mit Leben zu füllen? Können wir uns – neben den inzwischen gewohnten Klängen vom Klavier –für die besonderen Qualitäten der Leier für die Eurythmie öffnen?
ARTEMIS-EURYTHMIE-BÜHNE BUDAPEST
Maria Scheily
Weil wir bis jetzt in Budapest noch keinen gut ausgebildeten Leierspieler hatten,
bedeutete es uns sehr viel, dass Viola Heckel zu uns fuhr und nicht nur für uns
gespielt, sondern auch unsere Pianistin, Spengler Krisztina, eingeführt hat in das
Leierspiel. Sie hat uns dann bald mit Begeisterung beim Üben begleiten können.
Leider fehlten auf der uns zur Verfügung stehenden (großen Sopran-) Leier einige
der für das Maiwald-Stück erforderlichen Töne, so haben Viola Heckel und
Christian Giersch zur Aufführung für uns gespielt. Aus dieser Zusammenarbeit
sind für uns neue Wege entstanden: Christian Giersch hat uns ein neues Stück
geschickt, und Viola Heckel hat unserer Pianistin eine Leier überlassen, die jemand
ihr geschenkt hatte!
Das Üben mit der Leier hat uns eine neue Welt eröffnet: zuerst die der Stille, als
wirklich lebendiger, immer qualitativ sich ändernder wichtiger Bestandteil der Musik,
und eine gute Ausgangsbasis, um von ihr aus in ein Erlebnis der Eurythmie zu
kommen. Der Leierton mit seinem zarten, leicht fliegenden Charakter erforderte
eine veränderte, neue Bewegungsqualität. Das Stück von Torben Maiwald war
wegen des extrem langsamen Tempos und der sehr langen Generalpausen für das
Hören eine Herausforderung, aber für die Eurythmie dankbar und sehr lehrreich.
Auch der Titel „Blick zur Schwelle“, ohne weitere Erklärung, hat das Verständnis
natürlich nicht leicht gemacht. Sehr viele Mühe und Zeit hat es uns gekostet, das
Stück als Ganzes zu verstehen und zu gestalten, das scheint den anderen Gruppen
auch so gegangen zu sein. Obwohl wir vom Ideal Steiners – dass die eurythmische
Gestaltung des gleichen Stückes durch verschiedene Interpreten sich nicht
wesentlicher voneinander unterscheiden sollte, als dessen Interpretation durch
verschiedene Pianisten – noch sehr weit entfernt sind, war es für uns doch sehr
lehrreich, die unterschiedlichen Auffassungsmöglichkeiten zu erleben.
Unsere kleine Leier-Eurythmie-Gruppe hat durch das gemeinsame Suchen immer mehr zueinander gefunden, und hoffentlich haben auch die anderen Teilnehmer
der Artemis Eurythmie Bühne, angeregt durch die Aufführung, Lust bekommen
mitzumachen, sodass wir in der Zukunft noch an ähnlichen Projekten gemeinsam
arbeiten werden.
Emese Vidákovich
Während der Proben war es eine besondere Erfahrung, sich auf den Klang der
Leier einzuschwingen, seine intime Atmosphäre zu erleben, mit den Bewegungen
zu experimentieren.
Das von Torben Maiwald geschriebene Stück ist äußerst komplex, bietet einerseits
große Freiheiten, ist andererseits aber auch extrem schwer zu fassen und
in eine Richtung zu lenken. Man konnte sicher sein, dass es keine zwei Versionen
desselben Stücks geben würde.
Es war sehr interessant zu sehen, wie die anderen Gruppen das Stück präsentiert
haben, wie unterschiedlich wir dieses Stück, den Dialog zwischen Leier und
Cello, gesehen und wahrgenommen haben.
Krisztina Spengler
Es war für mich eine große Erfahrung, ein neues Instrument, die Leier, kennenzulernen. Je mehr wir in den Proben in die Stücke eintauchten, desto mehr liebte ich sowohl das moderne Stück, als auch das Instrument selbst. Die Reise nach Dornach war sehr gelungen, und es war sehr interessant zu sehen, wie andere Gruppen zur gleichen Musik Eurythmie praktizierten. Als Pianistin ist es für mich immer eine besondere Aufgabe, wenn ich zu einer Eurythmie-Aufführung spielen kann. Dass ein so wenig bekanntes Instrument wie die Leier im Mittelpunkt stand, war meiner Meinung nach eine hervorragende Gelegenheit für alle Teilnehmer, der Aufführung eine neue Farbe zu verleihen.
Tóth Barnabás
Ich halte mich für einen glücklichen Menschen, weil ich zu der Gemeinschaft der Artemis Eurythmie Bühne gehören darf!
Als Cellist war es eine großartige Erfahrung zu beobachten, wie die Musiker anderer Gruppen das Stück von Torben Maiwald interpretierten und wie aus dem Blickwinkel der Eurythmie die anderen Eurythmie-Gruppen sich ihm näherten. Mein Bild von der Eurythmie hat sich erweitert dadurch, dass ich den „Persönlichkeitscharakter“ anderer Gruppen kennenlernen durfte.
KLANGLICHT ENSEMBLE WITTEN
Felipe Soares
Das Festival war sehr bereichernd! Wunderschöne Aufführungen, interessante und spannende Begegnungen durch die Workshops und Demos und ein tolles Konzert mit hervorragenden Musikern und Kompositionen.
Torben Maiwalds Komposition, die von 4 verschiedenen Ensembles erarbeitet wurde, hat ermöglicht, die Leier aus verschiedenen Blickwinkeln zu genießen. Aber das Schönste war die Gemeinsamkeit in den Erarbeitungen der jeweiligen Ensembles.
Die Leier ist das Tor für die Ton-Eurythmie.
Antonia Luckner
Die Beschäftigung mit der Leier hat etwas Ursprüngliches. Das Leierfestival war ein willkommener Anlass, tief in die eurythmische Arbeit mit diesem besonderen Instrument zu kommen. Es haben sich Welten für mich eröffnet in der Toneurythmie.
Emily Yabe
Unsichtbare Kunst – Musik – sichtbar zu machen, kann schnell oberflächlich werden. Die jungen Wittener Eurythmist*innen waren dank der Unterstützung der Eurythmistin Nicola Anasch, die wegen unerwarteter Krankheit in der Mitte der Vorbereitung aussteigen musste, von Anfang davor bewahrt und versuchten, die Sensibilität und Leichtigkeit der Leier sichtbar zu machen. Sie waren mit offener Neugier und endlosem Interesse bis zum letzten Moment aktiv auf der Suche. So erklang die Leier nicht nur bei der Aufführung, sondern auch beim Anwärmen der Gestalt durch verschiedene toneurythmische Übungen.
Der „Schwung“ der Eurythmie wurde zum Atem der Tonansprache. Eine Pause in der Notenschrift bedeutet Stille, sie ist aber nicht Nichts, sie wurde als lebendiger Faden durch die Eurythmie sichtbar weitergetragen. Der Klang der Leier ist extrem fein und klingt enorm lange nach. Diese Eigenschaft
verlangt zwingend, den Ton bewusst zu beginnen und zu beenden. Die Leier verkörpert diese sphärische Ebene und Welle. Welches andere Instrument könnte geeigneter für die Eurythmie sein?
Wenn man die Entstehungsgeschichte der Leier schaut, ist die Antwort ganz klar. Deswegen ist es traurig, dass die Verbindung zwischen Leier und Eurythmie früh abbrach. Desto erfreulicher und wichtig ist es, dass das Eurythmie-Leier-Festival am Goetheanum stattfand und hoffentlich weiter
stattfinden wird.